Kategorie: Allgemein

Dreipunkt und Bindestrich

Was ich gerade betreibe, pflegt mein Großonkel mich bei jedem Kaffeetrinken im Familienkreis zu fragen. Mit so einer Betonung, aus der das Teufelchen auf meiner Schulter die Unterstellung formt, ich sei ein Flatterding, das sich im Leben nicht entscheiden kann oder womöglich gar keine Lust auf richtige Arbeit hat. Das Engelchen auf der anderen Schulter wirbt um mein Verständnis, dass es für den einige Jahrzehnte älteren Herren verwirrend sein kann, wenn meine Antwort von Torte zu Kuchen eine andere ist: Mal ist es ein Auftritt, den ich vorbereite, mal ein Workshop, den ich konzipiere, oder ich stecke in der Akquise oder eine Weiterbildung steht bevor, meist laufen die Dinge eh parallel. Und für mich wiederum paradox: Je konkreter ich beschreibe, zum Beispiel dass ich an einem Auspuff tüftel, der das zentrale Requisit für einen Walkact mit dem Thema „geistiger Treibstoff“ ist, desto größer werden die Fragezeichen in seinem Gesicht.

Dabei gibt es so hübsche Begriffe für berufliche Profile wie ich eines habe:
Multiple Karriere zum Beispiel. Ich bin also Mimin, Pädagogin für Entspannungsmethoden und Feldenkrais (in Ausbildung), Sprachanimateurin für Deutsch-Tschechisch und manchmal Organisatorin, Texterin und so weiter …
Slash Career kann Mensch auch sagen. Ich fasse das für mich thematisch mal zusammen:
Körpertheater Schrägstrich Entspannung Schrägstrich Sprachanimation.
In meinem Logo verbildlicht:
Maske Schrägstrich Hängematte Schrägstrich Ahoj.
Die Maske fordert im Theater besonders die Körpersprache heraus. Die Hängematte ist für mich ein Sinnbild des Seelebaumelnlassens. „Ahoj“ ist Tschechisch und heißt übersetzt „Hallo“. Viele werden sich wohl eher an den Seemannsgruß „Ahoi!“ erinnert fühlen. Das trifft sich gut, denn beim visuellen Verbinden dieser drei Dinge, ist ein Boot herausgekommen. Damit es nicht auf dem Trockenen liegt, braucht es Wellen. Und wellengleich kommen und gehen auch meine verschiedenen Arbeitsprojekte. Immer wieder neue Orte, neue Menschen, neue Aufgaben. Als selbstständige Kapitänin muss ich das Arbeitsmeer im Blick halten, aber kann eben auch steuern, wohin ich will.

Diese Bootsanalogie war von mir ursprünglich überhaupt nicht geplant, aber im Grunde ist es ein schönes Beispiel dafür, warum ich es spannend finde mehrere Arbeitsfelder parallel laufen zu haben. Es ergeben sich immer wieder Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. Beispielsweise eröffnen alle drei Bereiche Räume: innere Zufluchten mentaler Entspannung, phantastische Welten im Theater, und Orte des Verstehens, wenn Mensch sich eine neue Sprache erschließt. An allen meiner drei Arbeitsthemen ist auch der Körper beteiligt, eine leider viel zu oft vernachlässigte Komponente beim Lernen.
Hyphenates, eine dritte Bezeichnung für Leute wie mich. Bindestriche. Über Verbindungslinien, wenn ich sie zwischen meinen Arbeitsthemen entdecke, freue ich mich besonders:
Körpertheater. Bewegt zur Ruhe kommen. Entspannung. Entspannt eine neue Sprache finden. Sprachanimation. Nonverbal vielschichtig erzählen. Und damit schließt sich der Kreis. Besser gesagt, das Dreieck. Das hat drei Punkte und der Dreipunkt gehört zu den geschätzten Konstruktionen, wenn es um Stabilität geht.

Stabilität, wohl auch in Form finanzieller Sicherheit, wünscht mir auch mein Großonkel. Sein Weg dahin, war die jahrzehntelange Anstellung, und es war weniger üblich das zu hinterfragen. So ein beständiges konkretes Was, kann ich ihm nicht geben. Beständigkeit und damit auch so etwas wie dauerhaft gültige Berufsbezeichnungen, lösen sich für viele meiner Generation zunehmend auf. Für mich ist deshalb das Woran, die Themen, an denen ich arbeite, viel existentieller. Es scheint mir bisher unmöglich sie eloquent zwischen zwei Gabeln voll Kuchen zu packen, deshalb beginne ich dieses Logbuch – um im Bild zu bleiben – und taufe es auf den Titel Seemannsgarn.

Kann das weg?!

08:31 Uhr: Mit einer leeren Klapp-Box trete ich an, um mein Bücherregal auszumisten. Hm, aber wo anfangen?
08:38 Uhr: Wasser kocht, ich hänge einen Teebeutel in die Tasse und befrage das heilige Internet nach Aufräum-Weisheiten: Was Mensch länger als ein Jahr nicht genutzt hat, braucht er nicht.
08:38:15 Uhr: Fratzenbuch! Mein letztes Posting ist länger als ein Jahr her. Mein schlechtes Gewissen dahingehend, meldet sich jedoch stetig und mein Ärger, dass ich es überhaupt habe, mindestens genauso oft. Oh jaa, ich könnte es einfach ohne mich weiter Daten sammeln lassen! Nie wieder Situationen auf ihren Bild- und Unterhaltungswert reduzieren! Ich werde mich abmelden.
08:49 Uhr: Während ich auf die Mail zur Neuvergabe meines Passwortes warte, wärme ich mir die Hände an meiner Tasse Tee, scrolle meine Timeline nach unten und werde wehmütig. Das waren tatsächlich Stationen der letzten Jahre …
08:52 Uhr: Ich erinnere mich an Aufräum-Tipp Nr. soundso: Wenn Mensch sich von Dingen schlecht trennen kann, darf er sich ein ausgewähltes Teil zur Erinnerung behalten. Ich beginne abzuwägen, was mich in meinem FB-Verlauf am meisten berührt.
08:56:20 Uhr: Das Bild hier! Reine Daunenfedern. Daraus sind die Flügel für Frau Vogel entstanden, die mein Fräulein panTo.c bei Festival-Auftritten ihrer Picknick-Performance zum Beispiel beim „Nachtdigital“ oder dem „Wolkenkuckucksheim“ begleitet hat. Material. Leicht. Zart. Und nicht mehr wegzubekommen, wenn sie einmal im Raum herumfliegen!
08:59 Uhr: Ich habe das Originalbild der Federn in meinen PC-Ordnern gefunden, mich mit einem neuen Passwort eingeloggt und will nach „Konto löschen“ suchen, da sehe ich, dass ich vor drei Wochen eine Anfrage bezüglich eines Theaterprojektes erhalten habe. Schei…, denke ich und frage, ob es noch relevant ist, und worum es genau geht.
9:05 Uhr: Da ich ja nun noch die eventuelle Antwort abwarten muss, kann ich mich heute nicht von Fratzenbuch abmelden und stehe deshalb wieder vor meinem Regal. Ich ziehe nacheinander einzelne Bücher heraus und befrage mich, ob ich sie innerhalb des letzten Jahres in der Hand hatte.
09:17 Uhr: Buchtitel: Marketing für Freiberufler. Kapitel: Social Media. Zwischen den Seiten stecken zwei Fotos. Und da spüre ich ein leichtes Pochen in mir, dass sich plötzlich zu einer Anspannung auswächst, die meinen ganzen Körper durchfährt. In meinem Kopf hämmert schrill das dringende Bedürfnis mich JETZT und EIN FÜR ALLE MAL zu entscheiden: Digitalisiere ich beide, nein, sämtliche meiner Fotos und schiebe sie sauber in einen PC-Ordner??? Oder drucke ich die Daunenfedern, nein, sämtliche Bilder auf meinem PC aus und packe sie mit allen Fotos in einen Karton???
09:22 Uhr: Ich stehe vor meinem Requisiten- und Materialschrank. Der Inhalt mehrerer Fächer ist um mich herum verteilt. Ich ziehe sie hervor, die Kiste, klappe sie auf und während sich meine Augen schließen, gleitet meine Hand tief in die weichen weißen Federn…